Die unbewussten „Glaubensgemeinschaften“ von Konfliktpartnern: Geteilte Präsuppositionen in Konfliktpositionen
In meinem letzten Online-Seminar „Elements – NLP and Process Utilities“ ging es um das Thema „geteilte Präsuppositionen in Konflikten“, die ich in Seminaren zur Mediation und zum Konfliktmanagement gerne als „Unbewusste Glaubensgemeinschaft der Konfliktpartner“ bezeichne.
Das Vorgehen für den Umgang mit geteilten Präsuppositionen in Konfliktpositionen habe ich entwickelt, als mir klar wurde, dass es sich dabei um das wichtigste Element im „Einstein Format“ von Robert Dilts handelt: ohne die geteilten Präsuppositionen in Konfliktpositionen finden und benennen zu können, kann man dieses wunderbare Format von Robert vergessen.
Präsuppositionen einer Aussage sind Sätze, die wahr oder sinnvoll sein müssen, wenn die ganze Aussage als wahr oder sinnvoll betrachtet wird. Und geteilte Präsuppositionen sind Präsuppositionen, die für beide Konfliktpositionen zutreffen – werden sie bewusst und dann die ihnen zugrundeliegenden einschränkenden Glaubenssätze upgedatet, zeigt sich, dass die Positionen weniger konträr sind, als sie anfangs erschienen sind.
Die Fähigkeit zum Umgang mit geteilten Präsuppositionen, also mit der „unbewussten Glaubensgemeinschaft“ von Konfliktpartnern, ist sowohl in der Arbeit mit Konflikten innerhalb einer Person wichtig, als auch in der mit solchen zwischen Personen und Gruppen von Personen.
Auf die Idee, das Thema geteilte Präsuppositionen im Online-Seminar zu behandeln, kam ich anlässlich des kurzen Austausches zum Thema „White and Colored“ auf meiner Facebook- und LinkedIn-Seite. Dort sagte ich,
Eine Analogie zum irrigen Sprachgebrauch, den „Weiße“ und “Schwarze“ teilen, ist: „White“ verhält sich zu „Colored“ wie „Mensch“ zu „Tier“!
Aber: Alle Menschen sind „colored“. Menschen sind rosa-pink („schweinefarben“), gelb, rot, hellbraun, dunkelbraun, haselnussbraun und schwarzbraun… Eine andere Analogie wäre die, zu sagen, „Weiße“ verhält sich zu „Farbigen“ in der gleichen Weise wie „Götter“ zu „Menschen“.
Ich fügte hinzu,
… weiß ist irgendwie „meta“ zu farbig… deshalb kann es in dieser Logik keinem Menschen aus der Klasse der „farbigen“ Menschen jemals gelingen, ein „weißer“ Mensch zu sein… Das ist also ein tief verwurzeltes rassistisches Denken, welche von „Weißen“ und von „Schwarzen“ geteilt wird. Für die „Schwarzen“ hat sich die Lage dadurch noch verschlimmert, „Farbige“ genannt zu werden.
Heute würde ich hinzufügen,
Auch die Redeweise „BPoC – Black and People of Color“ macht die Lage noch schlimmer, als sie es schon dadurch ist, dass alle an diesem großen Konflikt Beteiligten durchgehend von „Weißen“ und „Schwarzen und Farbigen“ oder sogar von „Weißen“ und „Schwarzen, Indigenen und Farbigen“ (BIPoC= Black, Indigenous and People of Color) sprechen.
Dieser Konflikt ist deshalb so interessant für die Betrachtung von geteilten Präsuppositionen in Konfliktpositionen, weil er alle Menschen betrifft, zumindest alle, die davon ausgehen oder von sich selbst glauben, dass sie entweder zu den „Weißen“ oder zu den „Black“ bzw. „Colored“ gehören. Sie alle sind Teil einer unbewussten Glaubensgemeinschaft, also einer Gemeinschaft, die unbewusst etwas glaubt, was ihren Konflikt stabil hält und was, würde es upgedatet, diesen Konflikt auflösen könnte.
Im Online-Seminar haben wir das Vorgehen am Beispiel eines internen Konfliktes einer Teilnehmerin mit den Positionen „Ein Haus kaufen ist ein Risiko“ und „Kein Haus kaufen ist ein Risiko“ demonstriert und geübt. Es besteht darin, alle Präsuppositionen der beiden – wie bei der Textexegese – schriftlich vorliegenden (dafür ist ein Chat-Fenster im Online-Seminar hervorragend geeignet) Positionen herauszuarbeiten und der betreffenden Person als mögliche Updates eines Glaubenssatzes anzubieten, den beide Seelen in ihrer Brust unbewusst teilen. (Wären die Konfliktpartner zwei Menschen oder Menschengruppen gewesen, hätte man ihnen beiden die jeweilige Präsupposition für ein Update ihrer Konfliktpositionen vorgeschlagen.)
Angeboten haben wir der betreffenden Teilnehmerin in dieser Übung geteilte Präsuppositionen wie „Ein Haus kann gekauft werden“ und „Ein Haus kann von einem, zwei oder mehreren Menschen gekauft werden“ (die Präsuppositionen sind der Grammatik des Begriffes „Kaufen eines Hauses“ entnehmbar), „Es gibt verschiedene Arten von Risiko“ (doppelter Gebrauch eines Wortes) und „Das Kaufen oder Nicht-Kaufen eines Hauses kann ein Risiko für den/die KäuferInnen und/oder für andere Menschen und/oder Situationen beinhalten“ (Nutzung des Meta-Modells der Sprache für das Explizieren des Implikates, d.h. der Präsupposition).
Der Charme dieses Vorgehens im Falle eines internen Konfliktes besteht für den Therapeut/Coach darin, vorab nicht zu wissen, welche der seiner Klientin anzubietenden Präsuppositionen, gemessen an den Gütekriterien „Dauer und Tiefe der Trance und Häufigkeit des Rein-und-Raus-Gehens in die Trance“ beim Nachdenken über die angebotene Präsupposition, „Versöhnungsphysiologie“ und „Symmetriezunahme beim Reorientieren“, erfolgreich sein würden. In unseren Falle waren „Zukünftige Entwicklungen spielen für den Kauf eines Hauses eine Rolle“ (Grammatik des Wortes „Risiko“) erfolgreich: Sie konnten, gemessen an diesen Gütekriterien (ursprünglich für „Inhaltliches Reframing“), von der Teilnehmerin für die innere, nicht inhaltlich nach außen kommunizierte Arbeit an ihrem Konfliktthema gut genutzt werden.
Am Ende dieses 90-Minuten-Seminares haben wir uns noch einmal mit der Frage beschäftigt, welches die wohl wichtigste der geteilten Präsupposition in Konflikten von „Weißen“ und „Nicht-Weißen“ sind, bzw. von (ausgewiesenen und verdeckten) Rassisten und deren Kritikern: Es ist der Irrglaube, es gäbe „Weiße“, also Menschen mit weißer Hautfarbe. Das Update ist: Es gibt nur farbige Menschen: Rosa-pinke („schweinefarbene“), gelbe, rote, hellbraune, dunkelbraune, haselnussbraune und schwarzbraune… (siehe oben das Beitragsbild).
Das Seminar endete mit einer schönen geistigen Übung. Nachdem wir die Geschichte von einer (weißen) Frau gehört hatten, die mit ihrem (weißen) Mann in Afrika Urlaub gemacht und sich von den schwarzen/ farbigen KellnerInnen unterschwellig böse angeguckt gefühlt hatte. Wir erfuhren, dass sie in dieser Situation innerlich „zu den Schwarzen“ sagte, „Warum guckt ihr mich so an? Was kann ich dafür, dass ich weiß bin?!“ Genau das ist sie nicht. Sie ist es genauso wenig, wie die „schwarzen“ TeilnehmerInnen von „Black Lives Matter“-Demonstrationen schwarz sind – und das selbst auch glauben.
Wir stellten uns vor, diese in diesem Fall innere verbale Interaktion wäre Teil einer eskalierenden verbalen Interaktion in der Mediation eines Konfliktes zwischen einer/s „Weißen“ mit einer/m „Schwarzen“. Wir stellten uns vor, dass wir, als MediatorIn, diese Interaktion unterbrechen und sagen würden: „Für einen Moment, schauen Sie beide sich bitte an… bleiben Sie im Blickkontakt… und dann sagen Sie zueinander, während Sie den Blickkontakt halten: ‚Alle Menschen sind colered, ich genau wie Du’, ‚Meine Haut ist pink-colered und Deine brown-colored“ und umgekehrt. Und vielleicht würden wir dann, als Mediator, das Lied singen: “I can see your true colors shining“1…
Das Schlimme ist, der irrwitzige Sprachgebrauch von „weiß“ und „nicht-weiß“, egal ob „schwarz“ oder „colored“, verhindert eine Veränderung des auf diese Weise von uns allen unbewusst geteilten Rassismus. Im schlimmsten Fall erodiert, wenn wir ihn nicht ändern, „Schwarz-Weiß“-Sprachgebrauch (die Worte „weiß“ und „schwarz“ werden nicht für die Farbtöne menschlicher Haut, sondern ausschließlich als eine Symbolisierung impliziter Wertungen gebraucht: alles Positive ist mit „Weiße“ konnotiert und alles Negative mit „Schwarze“ oder „Colored“, siehe auch: „Alle Menschen sind farbig: +farbig and -farbig“) die Energie von Loyalitätsbekundungen von „Weißen“, wenn sie z.B. auf einer „Black Lives Matters“-Demo mitgehen… Die Macht der Sprache eben, in der wir alle leben und die wir pflegen und regelmäßig updaten sollten.